Leseproben aus "Menschgrenzen"

 

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Auszug aus Clones' Choice”

Das „Clones' Choice“ war ein schäbiges Fly-Inn irgendwo im Nordwest-Bezirk von 2 nd S. A.

Als ich die Koordinaten ins Navigationssystem meines Gliders eingab, weigerte sich dieser prompt, zu starten. „Sie wollen wirklich da hin?“, bezweifelte er mein Vorhaben. „Überlegen Sie das lieber. Normale Menschen fliegen nicht in solche Kneipen, Herr …“

Ja ja, schon gut, dachte ich und verfluchte insgeheim alle Navigationssysteme, während ich entschlossen die dreidimensionale „OK“-Projektion berührte, was meinen Glider endlich zum Starten brachte. Das virtuelle Warnsystem schwieg. Wie so vieles andere auch, schienen diese Sicherheitsdinger nur für Normalsterbliche entwickelt worden zu sein, und bei denen lösen die virtuellen Koordinaten des „Clones' Choice“ nicht gerade Partystimmung aus, wahrscheinlich wegen der Todesfälle.

Albert, mein Vorgänger, hatte das „CC“ aber genau deswegen ausgesucht. Hier würde es keinen stören, wenn ich am Ende unseres Meetings meine Laserkanone auspacke und ihm ein hübsches Loch in den Kopf brenne. Im „CC“ nahm man solche Dinge etwas lockerer. Im Gegensatz zu den Originalvierteln der Stadt: In den spießigen Edelkneipen von 1 st San Angeles wäre eine Lebens-Übergabe von Klon zu Klon völlig unmöglich. Im Stadtteil der Normalsterblichen würden sie mich wahrscheinlich eher einbuchten, wegen „Erregung normalsterblichen Ärgernisses“ oder „Verbotener Einhaltung des ‚Gesetzes zur Abwicklung klonaler Erbansprüche' außerhalb der Klonzone“. Natürlich reine Schikane. Nach ein paar Stunden würden sie mich dort ohnehin wieder laufen lassen, schließlich bin ich bzw. mein Original, weltberühmt.

Ich flog zunächst an den Gigahektar großen Human-Fabriken in der Nähe der Klongebiete vorbei – meine bisherige Heimat. Hier wurde ich im Auferstehungs-Bunker Nummer 7031 geboren, reproduziert – zusammen mit tausendvierundzwanzig anderen menschlichen Wesen. Als Erschaffungsgrundlage dienten genetische Erbinformationen, die bei „Clones Unlimited“ gelagert werden. Man braucht zum Klonen nur den geringsten Teil eines Menschen – ein Haar, ein Stück Haut, ein winziger Knochensplitter reicht schon aus, um ihn als dreidimensionale Generstellungsdatei zu speichern. Sicherheitshalber werden alle Körperteile auch als biologische Hardware in einem der Tiefkühlhäuser im Westen der Fabriken deponiert. Die meisten Menschen, die früher auf natürlichem Weg geboren wurden, sind so für den heutigen Human-Bedarf wiederherstellbar ...

 

 

Auszug aus „Ein ganz, ganz mieser Tag“

Als Stephanel aufwachte, sah er nur Umrisse.

Alles war abgedunkelt, als hätte man ihm im Schlaf eine sehr starke Sonnenbrille aufgesetzt, die alles in eine unwirkliche Atmosphäre tauchte, kaum zu durchschauen, selbst wenn man sich anstrengte. Nur einige helle Oberflächen und Kanten hoben sich etwas vom Hintergrund ab. Zu allem Überfluss war das Innere seines Schlafkokons äußerst schwach illuminiert, größtenteils konnte er also nur dunkle Farben erkennen, hier und da einen grauen Fleck, der als Teil des Bettwäschemusters identifiziert werden konnte.

Sofort versuchte er, die Farbeinstellungen seines Visors mithilfe eines in die Pupillen implantierten Minicomputers anzupassen. Seine von winzigen Nanomotoren betriebenen Augenmuskeln bewegten sich hin und her, der pupillengesteuerte Mauszeiger fuhr über ein paar Pull-Down-Menüs, klickte per Augenzwinkern – erfolglos. Seine Sicht war immer noch verdunkelt und schemenhaft. Am Abend zuvor war Stephanel noch mit schillernden OptiSight-Farbtönen eingeschlummert, die ihm nicht nur eine grandiose Farbenvielfalt und In-Depth-Optik bescherten, sondern auch Träume in bester Qualität! Aber jetzt – Tristesse in mattschwarz. Ein hoher Piepton machte ihn auf einen eingehenden Anruf aufmerksam, den sein Phon-Implantat auch sofort entgegen nahm. Eine freundliche, weibliche Stimme begrüßte ihn.

„Bonjour, spreche ich mit Stephanel Demorgue, einem C-Klasse-Androiden?“

„Ja, tun Sie.“

„Ihnen ist bestimmt schon die verminderte Sichtqualität Ihres Visors aufgefallen …“

„Und ob.“

„Es tut uns leid, aber wir konnten bislang keinen Zahlungseingang zu Ihrer Jahresrechnung Nr. 57H-358b vom 27.03. feststellen. Sie müssten uns binnen sechs Stunden 583,78 Credits überweisen, damit wir Ihren Visor wieder zeitnah rekonfigurieren können.“

Jetzt fiel es ihm wieder wie Rostschuppen vom altersschwachen Visor: Gestern hatte er beim Pokern ein wenig übertrieben und mehr gesetzt, als er sich eigentlich hatte leisten wollen. Über die Folgen war er sich in seinem vom virtuellen Glücksspiel erregten Gemütszustand aber nur marginal bewusst gewesen. C-Klasse-Androiden wie er mussten darauf achten, ihre Rechnungen immer pünktlich zu bezahlen – gerade diejenigen, die ihre Körperfunktionen betrafen. Da konnte es schon einmal passieren, dass eine Firma nicht die üblichen drei Werktage abwartete, sondern die entsprechenden Funktionen (oder „Services“, wie sie im Fachjargon genannt wurden) sofort abstellte. Das war eigentlich gegen das Gesetz, aber darum scherten sich die großen Firmen nicht – sie betrachteten die Androiden als ihr Eigentum, schließlich hatte man sie ja auch produziert. Für Stephanel jedoch war das eine alles andere als angenehme Situation.

„Ja, ist gut“, sagte er deshalb schnell. „Ich versuche, die Rechnung zu begleichen.“ Er hätte auch widersprechen können, aber die Erfolgsaussichten für Androiden vor Gericht waren äußerst gering.

„Darum bitten wir Sie. Sonst müssten wir Ihre Sicht bis auf Weiteres auf einem Minimum an Leistungsfähigkeit belassen.“

„Alles klar, Sie bekommen Ihre Credits.“

„Gut. Dann au revoir.“

„Au revoir.“

 

 

Licensing Agent (hier gibt es die komplette Story, übrigens eine typische MegaFusion „Classic“ Story)

Licensing Agent

in a world of brands

Alarmsignal.

Ich seh' noch, wie das hologene 3D-Logo auf seinem T-Shirt klebt, kurz bevor es in NanosekundenschneIIe beginnt, seine Konturen zu verzerren und seine Spuren verwischen ins Nichts. Der rötliche Schimmer um den weißen Schriftzug flackert kurz auf wie bei einer defekten Lichtröhre, bloß um Zeitbruchteile später in der unendlichen Hintergrund-Schwärze des realen T-Shirts zu versinken:

Scheiß Schmarotzer.

Aber gerade hat ihm der Strahl des Gesetzes ‘n verdammtes Loch in seine Arroganz gebohrt. Der hat wohl gedacht, mit ‘nem geklauten Cola-Schriftzug in 3D lassen sich die Weiber hier unten besonders gut abschleppen … Aber die Tour hab ich ihm gründlich versaut. Jetzt steht er da wie ‘n Exhibitionist ohne Weichteile und glotzt Löcher in die verblüfften Mädchengesichter um ihn herum. Wenn er ‘ne Waffe zieht, muss ich ihn löschen …

„Hey, kannste bei meinem Logo nich ma ne Ausnahme machen? Morgen komm ich eh an Credits, dann ist alles wieder okay mit meinem Account, und ruf doch mal deine Virtual Memory Card ab, du …“

Von wegen. Der steckt bis zum Hals in Credits , das kauft ihm doch keiner ab. Verdammt. Soll er schwarz sehen, bis sein Account wieder sauber ist, Scheißkerl. Gar nicht drauf hören. Ich leg' den ersten Gang rein, flieg weiter, hör noch seine Argumente in meinen Arsch kriechen …

„Ja ja, ich zahl dir deine gottverdammten Royalties, mach doch nich so ‘n Umstand wegen dem beschissenen holografic problem , Alter …“

Ich reih' mich wieder in den Verkehr ein und fahr' einfach weiter. Mittelfinger bringen nichts bei den Typen.

On the road again.

Im Visual Sound Channel hinter meinem Lenkrad verrenken sich gerade ‘n paar intergalaktische Kometenschweifsurfer die Knochen, dazu spielen sie „Was ihr wollt" von den Smashers . Geht echt in die Beine, das Zeug, obwohl's ja schon ziemlich alt ist …

Ich flieg' bis zum Goethe-Schild, das schon seit ‘n paar Jahrzehnten da hängt und Werbung macht für irgendso'n After Shave, das es wahrscheinlich gar nicht mehr zu kaufen gibt und nur noch aus Image-Gründen da in der Gegend rumhängt, was weiß ich – auf jeden Fall ist die Lizenz in Ordnung und ich muss rechts ab, auf den Highway.

Im Vorbeischweben seh' ich noch einen alten Bekannten: Stevie Notrix nennt er sich, hat seine Haare hochgestellt, Seiten abrasiert und aus dem voll lizenzierten Sound-Shirt dröhnen vergangene Melodien von Slime und den Sex Pistols in meine Richtung. Der Typ ist halt ‘n echter Nostalgiker.

„Hey, Agent, alles okay? Willste nich heute abend im ›Anarchy UK‹ mit deinem piekfeinen Alabasterschlitten mal aufkreuzen – denn heute ist mein erster Auftritt!

Er grinst mich fett und flashig an, als ob er sich was von den neuen, frisch lizenzierten Mutter-Theresa -Pillen besorgt hätte, schraubt mit ungeheurem Taktgefühl weiter an dem glänzenden Stahlrundrohr, das den ganzen Highway erleuchtet, und weiß ganz genau, dass ich mit meinem gestylten Privatglider niemals in seiner Anarchospelunke aufkreuzen würde, hab ja auch keinen Grund: da ist alles zu hundert Prozent lizenziert.

Zweites Alarmsignal.

Verdammt, ausgerechnet jetzt.

Ein knallroter Cursor blinkt irgendwo in der Navigationsleiste, da sind stark verkleinerte 3D-Hologramme, die sich bei der geringsten Berührung in ihre virtuellen Moleküle zerstreuen und meinen aktuellen Standpoint anzeigen.

Per Touchscreen bestimme ich meine Route quer durch den Dschungel aus Straßen, Highways, Fluglinien, Seitenstraßen … bis ich innerhalb weniger Standardzeiteinheiten am Ort des Verbrechens eintreffe.

Schäbige Wohngegend, Vorstadtgetto, eintönige Fassaden: Hinter der fünften Mülltonne hockt einer von diesen verlausten Sprayertypen und wartet auf sein Urteil.

So steht's im Protokoll, das aber normalerweise viel schneller reagiert …

Und als ich mich umblicke, merke ich auch schon bald, was los ist: Der Typ hat doch tatsächlich die komplette Fassade des Buckingham Palaces auf die schmierigen, verrußten Wände der ganzen verdammten Scheißstraße gesprayt!

Das gibt Ärger.

Verdammt – warum bin ich über so eine Scheiße nicht schon früher informiert worden? Das kann mich den Job kosten, verfluchte Scheiße …

Sorry, control system failed.

Ja, ja, fail dich selbst, du beschissener Apparat. Ich kann jetzt sehen, wie ich aus dem Mist rauskomme, oder hast du ‘n besseren Einfall?

Keine Antwort.

Kurz noch mal checken, ob der Strahler richtig sitzt, dann gleitet die Tür zur Seite und ich marschiere direkt auf den verdammten Junkie zu und halt' ihm meine Laserkanone in seine holografische Mozartfresse – ich wette, dafür hat er keine Lizenz.

Allein das wär' schon ein Grund, ihn mitzunehmen, aber ich hab' noch was vor mit dem Wichser.

„Hey, Arschloch! Was hast du dir dabei gedacht?“, scheiß ich ihn an. Dabei muss ich mich noch kräftig zurückhalten, damit ich ihm nicht gleich hier und jetzt zur Begrüßung ein paar aufs Maul trete.

Der langhaarige, zottelige Typ stottert mit weit aufgerissenen Augen durch die Gegend, fängt an zu winseln – anscheinend weiß er, was für'n verdammten Mist er mit seinem verstrahlten Schädel gebaut hat: „B… b… bitte … A-a-agent …" Die Nadel steckt noch in seinem Arm, das Blech mit dem Stoff liegt neben ihm und glüht wahrscheinlich noch von der Flamme des burning tools.

Was soll ich nur der Zentrale melden, verdammt? ›Unidentifizierter Penner sprüht seine Junkie-Visionen an Gettofassaden im 5. Bezirk?‹ Klingt mehr wie aus'm schlechten 3D-ThriIIer, auch wenn's leider wahr ist – verdammt! Vielleicht ist dieser beschissene Bezirk sogar ‘n drittklassiger 3D-Thriller und ich merk's nicht mal, wie die Quoten sich über mich schräg lachen und die touch rates den TKP in die Höhe treiben …

Die Zentrale meldet zwar, dass sie Bescheid weiß über den Ausfall des Kontrollsystems, aber trotzdem bin ich jetzt in einer beschissenen Scheißsituation und kann nix dagegen machen.

So eine heruntergekommene Sackratte, fast hätte ich abgedrückt.

Ich zittere, die Laserkanone kann jeden Moment losgehen, private war against criminality oder wie war das – einer gegen alle. Nur ein unkontrolliertes Zeigefingerzucken reicht aus und die Strahlung würde diesem lebensmüden Chaoten das Gesicht zerfetzen wie ‘ner nordsibirischen Wassermelone.

„Du Wichser! Morgen ist das alles weg!“, brülle ich dem Typen mitten durch seine drogenvernebelten Wahnvorstellungen, mache eine ausholende Handbewegung, wobei der Penner zusammenzuckt, und drehe mich wutschnaubend zu meinem Glider.

Buckingham Palace, so ein Idiot. Talent hat er ja wenigstens, sonst hätt' ich ihn schon längst abgeknallt.

Verdammt. Wenn er sich wenigstens ‘ne Lizenz dafür leisten könnte, gäb's überhaupt keine Probleme und vielleicht würde sogar ‘n verdammter Künstler aus ihm, mit ‘nem richtigen Markennamen auf seinem Identity-Chip.

Aber so … Eigentlich hätt' ich ihn abknallen müssen.

 

 

Auszug aus „Werbepost“

Sterben auch Sie einen glücklichen Tod“, steht auf dem Etikett, das neben der Adresse klebt. So ein Quatsch, denke ich mir. Aber ich hebe das Paket trotzdem vom Boden auf – so kann es da ja nicht liegen bleiben, direkt vor meiner Haustür. Was soll mein Besuch von mir denken? Schließlich will ich meine Freunde nicht bereits durch den Gestank vergraulen, der von meinen Paketen ausgeht.

Also beuge ich mich hinunter, staple die vielen kleinen bis mittelgroßen Päckchen in meinen Armen auf, und schwanke rückwärts zurück ins Haus. Doch da bemerke ich meinen Irrtum. Ich muss ja nicht ins Haus, sondern nach draußen, da stehen die Mülltonnen. Ich kann mich gerade noch fangen und stolpere wieder aus der Tür hinaus. Vor lauter Paketen kann ich kaum etwas sehen, zum Glück finde ich mit meinem integrierten Ortungssystem den Weg zu einer der großen, metallfarbenen Tonnen.

Dass ich das noch immer nicht gelernt habe! Pakete sofort in den Mülleimer, das sagen sie doch schon im Info-TV. Obwohl man für diese Weisheit überhaupt nicht das Fernsehen bräuchte. Das kriegt man spätestens heraus, wenn man vier Wochen hintereinander Dutzende von diesen Päckchen vors Haus gestellt bekommt. Einfach vors Haus, und man muss dann sehen, wie man mit den Dingern fertig wird. Entsetzlich stinken tun sie, wie gesagt, und wehe, man wirft unschuldigerweise einen Blick hinein. Die ersten paar Male hatte ich sie noch aufgemacht. Als ich den ekelhaften Geruch, der aus ihrem Inneren herausströmte, behelfsmäßig mit der Hand vertrieben hatte, wollte ich schon gar nicht mehr hineingucken. Aber dann sah ich es doch, und ich wäre beinahe einem Kurzschluss erlegen. Von da an habe ich keins von diesen Päckchen mehr geöffnet, was, wie ich finde, eine kluge Entscheidung war.

Aber es soll sie ja geben, diese Typen, die das alles unglaublich toll finden. Sterben auf Knopfdruck, Eindringen in die Welt nach dem Tod. Klick. Jede Woche sieht man so einen Perversen auf dem Sofa bei X-Z-130 sitzen, und ich denke mir jedes Mal: Wieso lädt dieser Talkmaster eigentlich solche Leute ein? Nur wegen der Einschaltquote? Aber da lässt sich nicht meckern: Die Quoten schnellen nach oben, wann immer dieses brisante Thema im Fernsehen diskutiert wird. Kein Wunder, dass immer mehr seriöse Sendungen diesen Quatsch bringen. Ich persönlich finde das alles etwas makaber. Und diese Werbepost, die geht mir wirklich auf den Keks ...

 

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(C) des Fotos ganz oben: tokamuwi / pixelio.de